Seelensucher
Goethe, Groddeck, Hafis, Hüppi
 
 
Am 1. Abend des Symposions lud Otto Jägersberg alle Teilnehmer
zu sich ins Alte Dampfbad ein, wo er mit einer kleinen Rede
die Ausstellung »Aladins Lampe – Der Hafis-Zyklus« von Alfonso Hüppi eröffnete. 
Aladins Lampen  
© Alfonso Hüppi  
Goethe, Groddeck, Hafis, Hüppi
Aladins Lampen – so nennt Alfonso Hüppi die Deckenbeleuchtungen in einer ärmlichen Moschee, die er auf einer Reise mit seinen Studenten im Iran fotografiert und in einem Katalog veröffentlicht hat.
Diese Leuchter (wir hatten ähnliche in verschärfter schriller Ausgabe in den Wohnzimmern der 50er Jahre) sind als Symbole islamischer Gläubigkeit zu sehen, bescheidene Reflexe eines hoffenden Vertrauens, das in jenen Lampen den Abglanz göttlichen Lichts erkennt. »… werdet ihr in jeder Lampe Brennen, Fromm den Abglanz höheren Lichts erkennen«, heißt es im West-Östlichen Divan.
Alfonso Hüppi bringt in seinem Hafis-Zyklus »Aladins Lampe« in Aquarellen und Zeichnungen Abend- und Morgenland zusammen, vereinigt mit Texten von Goethe, Hafis und Nietzsche.
Die Gedichte und Lieder aus Aladins Lampe hat Hüppi auf die verschiedenste Weise variiert und übermalt. Viele dieser Arbeiten demonstrieren anschaulich seine Arbeitsdevise: Das ist doch Zufall – ja, aber mit Absicht!
Goethe und Nietzsche sind auch die großen Ideengeber für Groddeck. Den Begriff Gottnatur hat Groddeck für seinen Vortragszyklus »Hin zu Gottnatur« von Goethe übernommen. Gottnatur, das ist für Groddeck das Es, 1909 wird es von ihm zum ersten Mal benannt – und bei Nietzsche finden wir den Gedanken, dass es ein Irrtum sei, zu denken: ich denke, es müsse eher heißen: es denkt.
Nietzsche wanderte einst von Steinabad bei Bonndorf nach Rothaus im Schwarzwald, um einige Halbe Rothaus zu trinken, Hafis & Goethe tranken kein Bier. Goethe gestattete Bier nur jungen Kälbern. Für die Mentalität der Erwachsenen ist Bier nicht zu empfehlen, aus Durstgründen mag man Ausnahmen gestatten. Bier bläht Denken und Fühlen ins teigige Dumpfe und pumpt seine Nährstoffe ins Phlegma, Wein dagegen durchwäscht das Gedärm und vergrünt im Hirn das gedankliche Laufwerk.
Aladins Lampen  
© Alfonso Hüppi  
Mohammed Schemseddin, die Sonne des Glaubens, genannt Hafis, der Bewahrer des Korans, lebte im Persien des 14. Jahrhunderts, in Zeiten also, wo es bei uns im Abendland noch tief nachtete und vergleichbare Genialitäten wie Luther, Voltaire, Goethe noch in weiter Ferne waren.
Hafis wurde die mystische Zunge genannt, wegen seiner erhabenen, in asketischer Begeisterung alles Irdische und Sinnliche und besonders den Wein preisenden Lieder. Sie sind von freier, kühner und heiterer Art und verspotten Pfaffen, Mönche, Mystiker und Dogmatiker. Dabei war Hafis selber Lehrer und Mystiker und Koranausleger und gehörte zu einer Gemeinschaft von Derwischen und Sufis. Er pfiff drauf:
Frage nicht, welch einen Nutz
schafft die Trunkenheit?
Vom Verstande, wenn du trinkst,
bist du rein befreit.
Zechen will ich Glas auf Glas,
küssen will ich Kuss auf Kuss,
lieben will ich ohne Mass,
trinken will ich ohne Schluss.
Mit der Kutte, das ist wahr,
reimt sich unser Wandel schwer,
aber unsre Seele trägt
lange keine Kutte mehr.
Bringe mir den Stein der Weisen,
bringe mir den Becher Dschemschids,
mir den Spiegel Alexanders
und das Siegel Salomonis,
bringe mir mit  e i n e m  Worte,
bring, o Schenke, bringe Wein!
Wein, dass ich die Kutte wasche,
die befleckte von des Hochmuts
und des Hasses schwarzem Makel,
Wein, dass ich das Garn des Unsinns,
welches über Welt und Leben
pfäffischen Betrug gebreitet,
mit gestärktem Arm zerreiße;
Wein, dass ich die Welt erobre;
Wein, dass ich den Himmel stürme;
Wein, dass ich mit  e i n e m  Sprunge
Über beide Welten setze;
Bring, o Schenke, bringe Wein!
Wie kann ein bekennender Mohammedaner den Wein so preisen? Hafis sagt dazu: »Lass immer den besten Wein bringen, denn ist der Wein schlecht, so wird die Mahlzeit für schlecht gehalten. Hierzu kömmt, dass Wein zu trinken Sünde ist. Wenn du also Sünde begehst, so begehe sie wenigstens um des besten Weins willen, denn sonst würdest du teils die Sünde begehen, teils würdest du schlechten Wein trinken.«
Den Widerspruch, Hafis’ Weinhymnen und das Verbot des Weins im Koran, bringt  Goethe auf den schönsten Punkt, dergestalt, dass der Prophet nur deswegen den Gläubigen den Wein untersagt zu haben scheint, um das Vorrecht der Trunkenheit für sich selber zu behalten.
Aladins Lampen  
© Alfonso Hüppi  
Hafis Name schwebt noch heute im Morgenlande mit hoher Begeisterung auf jeglicher Lippe, sein Grab ist eine nationale Gedenkstätte, sie liegt in Mosella, der Vorstadt Schiras. Mosella, das wusste Hafis, ist zugleich der lateinische Name der Mosel, wo unsre Möselchen herkommen, unsre allerliebsten Rieslinge, neben denen aus dem Rheingau und dem Baden-Badener Rebland, aus dem der Wein des Abends kommt, der Seelensucher, den Groddeck uns vorsetzt, sozusagen als Zielvorgabe für den Weg zum Es.
Groddeck, der mit Wein von Saale und Unstrut aufgewachsen ist, bekannte sich 1900, als er sein Sanatorium Marienhöhe in Baden-Baden eröffnete, zum Riesling aus dem Baden-Badener Rebland und machte ihn zum medizinischen Haus- und Weitheilmittel.
Eine absolut identische Kur mit Wein betrieb Goethe:
Solang man nüchtern ist,
gefällt das Schlechte;
wie man getrunken hat,
weiß man das Rechte;
Nur ist das Übermaß
auch gleich zu Handen;
Hafis, o lehre mich
Wie du’s verstanden!
Denn meine Meinung ist
nicht übertrieben:
Wenn man nicht trinken kann
soll man nicht lieben;
doch sollt ihr Trinker euch
nicht besser dünken,
wenn man nicht lieben kann
soll man nicht trinken.
Goethe kannte den Osten nicht, er war nie im Morgenlande. Als er im Sommer 1814 einen Hafis-Band in die Hand bekam, erwirkte der einen Produktionstrieb wie in der Jugend. Gerade war der Pariser Friede geschlossen, Deutschland war frei vom Kriegslärm, man konnte wieder reisen –, Hafis kam zur rechten Zeit, die neue Lebensfreude zu feiern. Goethe betrachtet sich als einen Orient-Reisenden (Goethe als Vorläufer von Karl May),  der sich an Sitten und Gebräuchen, religiösen Gesinnungen und Meinungen erfreut, ja, er fühlt sich selbst als Muselmann.
»Wer das Dichten will verstehn, / muß ins Land der Dichtung gehen; / Wer den Dichter will verstehen, / muß in Dichters Lande gehen.«
Von dieser Maxime machen die Teilnehmer des Groddeck-Symposions am Sonntag ab 11 Uhr Gebrauch, wenn sie die Marienhöhe, Groddecks Wohnhaus in der Hans-Thoma-Straße und den Es-Punkt im Lichtenthaler Wald aufsuchen.
Goethe schreibt an Zelter: »Indessen sammeln sich neue Gedichte zum Divan. Diese mohammedanische Religion, Mythologie, Sitte geben Raum einer Poesie, wie sie meinen Jahren ziemt. Unbedingtes Ergeben in den unergründlichen Willen Gottes, heiterer Überblick des beweglichen, immer kreis- und spiralartig wiederkehrenden Erdetreibens, Liebe, Neigung, zwischen zwei Welten schwebend, alles Reale geläutert, sich symbolisch auflösend. Was will der Großpapa weiter?«
Dass du nicht enden kannst, das macht dich groß,
und dass du nie beginnst, das ist dein Los.
Dein Lied ist drehend wie das Sterngewölbe,
Anfang und Ende immerfort dasselbe,
und was die Mitte bringt, ist offenbar
Das, was zu Ende bleibt und anfangs war.
Du bist der Freuden echte Dichterquelle,
und ungezählt entfließt dir Well’ auf Welle.
Zum Küssen stets bereiter Mund,
ein Brustgesang, der lieblich fließet,
zum Trinken stets gereizter Schlund,
ein gutes Herz, das sich ergießet.
Und mag die ganze Welt versinken,
Hafis, mit dir, mit dir allein
will ich wetteifern! Lust und Pein
sei uns, den Zwillingen, gemein!
Wie du zu lieben und zu trinken,
das soll mein Stolz, mein Leben sein.
Goethe feiert die Begegnung mit Hafis, verfällt dabei in dessen Stil, sein Gedicht ist selbst Hafisisch. Motive ohne Anfang und Ende, jedes nach allen Seiten beziehungsreich, nach östlicher Art ohne strenge Komposition.
Trunken müssen wir alle sein!
Jugend ist Trunkenheit ohne Wein;
Trinkt sich das Alter wieder zu Jugend,
so ist es wundervolle Tugend.
Aladins Lampen  
© Alfonso Hüppi  
Hier kommt Suleika ins Spiel, Marianne von Willemer, gerade 30, Goethe ist 65. Es bleibt aber alles schicklich. Sie dichten zusammen und begeistern einander. Und sie stickt ihm schöne bunte Hosenträger, als Beweis, wie sie sich um ihn verdient machen möchte. Unter dem Anhauch der goethischen Kunst wird Marianne selbst zur Dichterin und die Zusammenarbeit wird zu einem Erlebnis, das für sie selbst – vielleicht – Einsatz ihrer ganzen Existenz war. Goethe nimmt ihre Gedichte in den Divan auf, freilich dichtet er sie etwas um, grad wie’s ihm passt. Da die Suleika literarische Gestalt ist, vermag sie ihre Leidenschaft frei auszusprechen und braucht auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Marianne von Willemer ist keineswegs enttäuscht, dass ihre Mitarbeit am Divan keine Erwähnung findet. Im Gegenteil, sie schreibt an Goethe: »Sie fühlen und wissen genau, was in mir vorging, ich war mir selbst ein Rätsel: zugleich demütig und stolz, beschämt und entzückt, schien mir die Aufnahme meiner Gedichte in den Divan wie ein beseligender Traum, in dem man sein Bild verschönert, ja veredelt wieder erkennt …«
Das war nach der Veröffentlichung des Divans. Als sie noch Co-Autorin war und in dem Zustand, als sie sich selbst ein Rätsel war, wohnte sie eine Zeitlang hier hinterm Alten Dampfbad im Neuen Schloss in einem inzwischen abgerissenen Türmchen und hatte Goethe eingeladen, sie zu besuchen.
Goethe machte sich auch prompt auf den Weg, aber nur wenige Kilometer gefahren und schon brach der Kutsche ein Rad. Für Goethe eine schlechtes Omen – er kehrte um.  Goethe kam nie nach Baden-Baden. Damit müssen wir nun leben …
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